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Große Spannung, kleine Vorstellungen

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Tension haute, idées basses - paris-art.com

17. Februar 2005

Tatsächlich, die übereifrigen Anhänger des „Sensitiven" und der „echten" Malerei kommen wieder, und sie sind zahlreich und wütend. Während Jean-Luc Chalumeau (siehe Editorial letzte Woche) in einem kürzlich veröffentlichten Buch die ausgefallene Behauptung aufstellte, dass die zeitgenössische Kunst zwar eine Realität sei, aber keine Kunst, so sieht man heute eine Petition auf dem Wege zum Kultusministerium. Nachdem die Petition versichert, „dass es dem Großteil der Akteure der heutigen Kunst in Frankreich reicht", ruft sie zur Unterschrift auf und wendet sich an den Minister mit einem Manifest unter dem Titel „Eine Kunst für den Menschen".

Nun, dieses Manifest werde ich nicht unterzeichnen.
Wenn man sich selbstverständlich auf die Tatsache einigen kann, dass die Situation der Kunst und der Künstler heute in Frankreich außerordentlich Besorgnis erregend und prekär ist und bedeutende Maßnahmen notwendig sind, so müssen diese sich doch auf genaue Analysen stützen, damit sie greifen.
Leider ist das mit dem von der Zeitschrift Artension unterstützte Manifest nicht der Fall: Es bringt eine hohe Verbitterung zum Ausdruck, aber lässt ein niedriges Niveau in seiner Denkweise erkennen. Schlimmer noch.

In den sichtlich von der aktuellen Mehrheit der Präsidentschaftswahlen inspirierten Worten diagnostiziert das Manifest einen „Bruch“ im Feld des Schaffens und der Verbreitung bildender Kunst in Frankreich, die sich heute in zwei klar abgegrenzten Teilen wiederfinde“, die hermetisch abgeschlossen und unvereinbar seien.

Dieser künstlerische Bruch, der als Hauptgrund des derzeitigen Unbehagens dargestellt wird, stelle die „herrschende Minderheit der Institutionen und des internationalen Marktes“ in Opposition zu der „großen Mehrheit der Schaffenden von heute sowie ihren Agenten und ihr Publikum“.
Eine herrschende Minderheit wird also beschuldigt in egoistischer Weise ihre extra-künstlerischen Interessen (politisch, medienbezogen, administrativ oder spekulativ) zu befriedigen, indem sie die Mehrheit ignoriert, verachtet oder gar aussaugt, eine Mehrheit, die populistisch demagogisch dargestellt wird als die „wirklicher, reichhaltiger, verschiedenartiger eingebettet in die Gegenwart und zur Zukunft hingewendet“. Nichts weniger als das.

Der Feind der Kunst und der Künstler läge also in der Kollision zwischen den „Institutionen" und dem „großen internationalen Markt". Mit anderen Worten, die zwar nicht im Manifest stehen, aber deren politisch stark rechts stehende Resonanz man spürt, sei der Feind in einem klaren Einverständnis zwischen dem ‚Establishment' und dem „Weltkapital" zu suchen.

In diesem „Desaster“ käme der Ansatz einer Hoffnung aus einigen wenigen Andeutungen von einer Wiederkehr des Sensitiven – und aus der Malerei – Spuren, die man hier und da in einigen Institutionen aufspüren kann.

Nach und nach zeichnet sich ein gleichzeitig politisches, soziales und ästhetisches Bild ab, in dem sich die Verachtung der historischen Avantgarde am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts abbildet; in dem die Maßnahmen des Ministeriums unter Lang quasi offen als verantwortlich für den „Abstieg des kulturellen Lebens" gemacht werden; in dem, im gleichen Atemzug wie gewöhnlich die „Unterstützungsmaßnahmen und -kriterien" in Frage gestellt werden, wogegen man verlangt, dass „die Ziele und Funktionsweisen der FRAC, DRAC und der Kunstzentren neu überprüft werden" sollen.

Diese Offensive im Namen einer „Kunst für den Menschen“ zielt darauf, die größtmögliche Dezentralisierung für die bildenden Kunst zu erhalten, um einen lokalen Inlandmarkt zu erzeugen, und, was die Ästhetik betrifft, eine Rehabilitierung der sensitiven und poetischen Denkweise zu ermöglichen und die Hegemonie der Malerei wieder herzustellen.

Die Redakteure des Manifests ziehen eine regionale Struktur der Kunstszene vor, während die zeitgenössische Kunst in Frankreich genau unter einem riesigen Defizit internationaler Präsenzen leidet.

Die Wahl eines lokalen Inlandmarktes zuungunsten eines „internationalen Großmarktes“ bedeutet, dass man sich wirtschaftlich auf sich zurückzieht, was sich auch in einem ästhetischen und theoretischen Rückzug äußert, so weit das Geld, die Formen und die Ideen in gleicher Geschwindigkeit und in gleichen Räumen verkehren.

Während das Manifest einen Humanismus anzeigt, eine Öffnung, ein Wiederaufleben, so wird doch eine plumpe Restaurierung vorgeschlagen, eine lange Aufzählung von Wiederkehr, Wiederherstellung, Rückzug, Verschlossenheit, Ablehnung.
Es wird weniger eine Kunst für den Menschen anvisiert, sondern eine Kunst gegen die Kunst wie sie heute erfunden wird, mit ihrer durchschlagenden Kraft, mit ihren formellen und signifikanten Erneuerungen, ebenso durch ihr Zögern und ihr Abschweifen.

Es geht in der heutigen Kunst keinesfalls darum, zur Malerei zurückzukehren (welche kein Schattendasein führt), es geht weder um eine Rehabilitierung des Sensitiven noch um eine entgegengesetzte Haltung. Es geht darum, Formen, Materialien und Wege zu erfinden, die neue Bedeutungen zum Ausdruck bringen, die sie den Furchen der Gegenwart entnehmen.
Erfinden, ohne eine feste Richtung einzuhalten, ohne auf Altbewährtes – die Malerei, das Sensitive - zurückzugreifen, sondern eine Spur zu zeichnen, die zwangsweise gewunden ist, mit Abzweigungen und Höhen und Tiefen. Auch unter dem Risiko, sich den Sarkasmen und dem Unverständnis oberflächlicher Beobachter auszusetzen.

Die Werke der zeitgenössischen Kunst sind sicherlich nicht alle erfindungsreich, nicht alle haben die gleiche Stichhaltigkeit, aber alle bekunden eine Erfindungsgabe als Möglichkeit und selbst als Notwendigkeit in der heutigen Zeit. Sie unterscheiden sich von anderen Werken der Gegenwart in dem Sinne, dass in ihnen die Kunst keine Rückkehr sondern ein Werden, kein Wiederfinden sondern die Akzeptanz des sich Verlierens ist.

Text des Manifests

Autor: André Rouillé

Übersetzung: Stephan Meinhardt