Für Kenner der Tanzszene Berlins ist das Dock 11 ein
Begriff: dieser Ort bietet Tanztraining für Profis und Amateure, Räumlichkeiten
für das Erarbeiten und Aufführen von Bühnenstücken, die
im weitesten Sinne mit Bewegung zu tun haben.
Es ist Samstag Abend, und meine Lust auf Experimentelles bleibt beim Durchblättern
der Zitty auf dem Untertitel "Performance - Vortrag" hängen,
der Titel Rambo IV zieht mich weniger an. Ich habe aber Vertrauen in die Programmation
des Dock 11 und entscheide mich dafür. Eine halbe Stunde zu früh angekommen,
habe ich Zeit, mir die Bühne anzuschauen. Ein quadratischer grosser Raum
ausgestattet mit schwarzem Plastikboden, auf dem an die 40 Stühle stehen
- Zuschauer und Akteure treffen sich auf gleichem Niveau. Auf dem kleinen Tisch
am Eingang wartet die Kasse, rechter Hand ist eine Bar improvisiert. Mich beunruhigt
die geringe Anzahl der Sitzplätze, der Mann an der Kasse versichert mir
jedoch: nein, es brauchte nicht reserviert zu werden. Offensichtlich rechnet
man in dieser 3-Millionenstadt mit wenig Interesse für diese Art von Veranstaltung.
Insgesamt 20 Zuschauer werden wir sein, wie sich dann herausstellt. Ich zahle
und suche mir einen guten Platz aus, in der Mitte, vorne. Ein Rednerpult mit
Mikrophon und Videorekorder steht in der Mitte der Bühne und erinnert an
eine Kanzel in der Kirche. Im hinteren Bereich befindet sich ein Mischpult,
eine Leinwand hängt an der Wand. Über dem Mischpult an Drähten
aufgehangen ein Brett mit roten Kerzen.
Die Performance beginnt mit der Projektion eines Videos: Rambo bereitet sich
auf seinen Einsatz im Krieg vor. Mit synchronen Bewegungen begleiten die Performer
Rambo auf dem Video. Realität auf der Bühne und Film verwischen sich
durch diese kleine Choreographie.
Mit einfachen Worten beginnnt Burmester seinen Diskurs am Rednerpult. Es geht
um Krieg, Gewalt, Terrorismus, das Böse. - Oh Gott, bitte keinen moralisierende
Rede gegen Gewalt und Krieg, denke ich. Ich zwinge mich, Burmeister weiter zuzuhören,
bin aber etwas verärgert, meinen Samstag Abend mit guten Lehren gegen das
Böse zu verbringen. Nach einigen Minuten merke ich, dass die Einfachheit
der Worte trügen, es wird kompliziert, und das Zuhören fällt
mir immer schwerer. CIA, der amerikanische President, Terroristen, Anschläge,
Gewalt, das Böse, Afghanistan, Irak, der Golfkrieg, viele militärische
Konfliktpunkte passen Revue, Kinofilme, Rambo I bis III, Zeitungsartikel, und
ich habe den roten Faden der Rede verloren. Selbst unter grosser Konzentration
gelingt es mir nicht mehr, der Rede zu folgen. So gebe ich meine Konzentration
auf und lasse zum ersten Mal meinen Blick schweifen. Ich entdecke Feigl auf
dem Mischpult sitzend, mit nacktem Oberkörper, die roten Kerzen auf dem
Brett darüber brennen, das Wachs tropft auf Feigels Schulter, Kopf und
sieht aus wie Blut. Die Rede Burmesters transformiert sich zu einem Hintergrundgeräusch,
aus dem ab und zu Begriffe wie "Verletzung", "Explosion",
"das Gute" auftauchen wie Kieselsteine in bewegtem Wasser. Mein Blick
erfasst die Zuschauer, sie hören alle interessiert Burmesters Rede zu.
Bin ich der Einzige, der nicht "aufpasst"? Mir geht ein Licht auf,
die Informationsflut aus Burmesters Mund ist das Fernsehn, das Radio, die Zeitungen,
die uns mit immer reisserischen Schlagzeilen das Bewusstsein einschläfern
und uns die wesentlichen Details vernachlässigen lassen. Es wird plötzlich
wieder spannend. Mit gutem Gewissen und neuem Interesse höre ich Burmester
nicht mehr zu und entdecke "unwichtige" Einzelheiten auf der Bühne.
Feigl agiert diskret, aber effektiv. Jetzt traue ich keinem "Vordergrund"
mehr, keiner "Hauptaktion". Mein Instinkt zum Interesse am Detail
ist erwacht.
Die Zeit vergeht wie im Fluge, ich sehe eine spannende, subtile und komplexe
Performance.
Stephan Meinhardt