a18.net articles

Rambo IV Preview - World without evil (03/08/2002)- Berlin

home

Für Kenner der Tanzszene Berlins ist das Dock 11 ein Begriff: dieser Ort bietet Tanztraining für Profis und Amateure, Räumlichkeiten für das Erarbeiten und Aufführen von Bühnenstücken, die im weitesten Sinne mit Bewegung zu tun haben.
Es ist Samstag Abend, und meine Lust auf Experimentelles bleibt beim Durchblättern der Zitty auf dem Untertitel "Performance - Vortrag" hängen, der Titel Rambo IV zieht mich weniger an. Ich habe aber Vertrauen in die Programmation des Dock 11 und entscheide mich dafür. Eine halbe Stunde zu früh angekommen, habe ich Zeit, mir die Bühne anzuschauen. Ein quadratischer grosser Raum ausgestattet mit schwarzem Plastikboden, auf dem an die 40 Stühle stehen - Zuschauer und Akteure treffen sich auf gleichem Niveau. Auf dem kleinen Tisch am Eingang wartet die Kasse, rechter Hand ist eine Bar improvisiert. Mich beunruhigt die geringe Anzahl der Sitzplätze, der Mann an der Kasse versichert mir jedoch: nein, es brauchte nicht reserviert zu werden. Offensichtlich rechnet man in dieser 3-Millionenstadt mit wenig Interesse für diese Art von Veranstaltung. Insgesamt 20 Zuschauer werden wir sein, wie sich dann herausstellt. Ich zahle und suche mir einen guten Platz aus, in der Mitte, vorne. Ein Rednerpult mit Mikrophon und Videorekorder steht in der Mitte der Bühne und erinnert an eine Kanzel in der Kirche. Im hinteren Bereich befindet sich ein Mischpult, eine Leinwand hängt an der Wand. Über dem Mischpult an Drähten aufgehangen ein Brett mit roten Kerzen.

Die Performance beginnt mit der Projektion eines Videos: Rambo bereitet sich auf seinen Einsatz im Krieg vor. Mit synchronen Bewegungen begleiten die Performer Rambo auf dem Video. Realität auf der Bühne und Film verwischen sich durch diese kleine Choreographie.

Mit einfachen Worten beginnnt Burmester seinen Diskurs am Rednerpult. Es geht um Krieg, Gewalt, Terrorismus, das Böse. - Oh Gott, bitte keinen moralisierende Rede gegen Gewalt und Krieg, denke ich. Ich zwinge mich, Burmeister weiter zuzuhören, bin aber etwas verärgert, meinen Samstag Abend mit guten Lehren gegen das Böse zu verbringen. Nach einigen Minuten merke ich, dass die Einfachheit der Worte trügen, es wird kompliziert, und das Zuhören fällt mir immer schwerer. CIA, der amerikanische President, Terroristen, Anschläge, Gewalt, das Böse, Afghanistan, Irak, der Golfkrieg, viele militärische Konfliktpunkte passen Revue, Kinofilme, Rambo I bis III, Zeitungsartikel, und ich habe den roten Faden der Rede verloren. Selbst unter grosser Konzentration gelingt es mir nicht mehr, der Rede zu folgen. So gebe ich meine Konzentration auf und lasse zum ersten Mal meinen Blick schweifen. Ich entdecke Feigl auf dem Mischpult sitzend, mit nacktem Oberkörper, die roten Kerzen auf dem Brett darüber brennen, das Wachs tropft auf Feigels Schulter, Kopf und sieht aus wie Blut. Die Rede Burmesters transformiert sich zu einem Hintergrundgeräusch, aus dem ab und zu Begriffe wie "Verletzung", "Explosion", "das Gute" auftauchen wie Kieselsteine in bewegtem Wasser. Mein Blick erfasst die Zuschauer, sie hören alle interessiert Burmesters Rede zu. Bin ich der Einzige, der nicht "aufpasst"? Mir geht ein Licht auf, die Informationsflut aus Burmesters Mund ist das Fernsehn, das Radio, die Zeitungen, die uns mit immer reisserischen Schlagzeilen das Bewusstsein einschläfern und uns die wesentlichen Details vernachlässigen lassen. Es wird plötzlich wieder spannend. Mit gutem Gewissen und neuem Interesse höre ich Burmester nicht mehr zu und entdecke "unwichtige" Einzelheiten auf der Bühne. Feigl agiert diskret, aber effektiv. Jetzt traue ich keinem "Vordergrund" mehr, keiner "Hauptaktion". Mein Instinkt zum Interesse am Detail ist erwacht.

Die Zeit vergeht wie im Fluge, ich sehe eine spannende, subtile und komplexe Performance.
Stephan Meinhardt