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Die zeitgenössische Kunst out!? (10/02/2005)

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Out l'art contemporain!? (paris-art.com)

Man hatte gehofft, dass es mit der Polemik vorbei war, die Jean Baudrillard entzündet hatte, als er den „Großteil der zeitgenössischen Kunst" mit seiner Anklage anprangerte, sich „der Banalität, des Abfalls, der Mittelmäßigkeit als ideologischer Werte zu bemächtigen" (Libération , 20. Mai 1996). Beaudrillard versicherte im Besonderen, dass „Wahrhol wirklich eine Niete sei, in dem Sinne, dass er aufs Neue das Nichts als Kernpunkt des Bildes einführt". Des Weiteren beschuldigte er ihn, „aus der Nichtigkeit und der Belanglosigkeit ein Ereignis zu machen, das sich in eine fatale Strategie des Bildes verwandelt".

Baudrillard gab sich übrigens nicht damit zufrieden, die Nichtigkeit, die er überall in der zeitgenössischen Kunst sah, zu bedauern, er machte aus der mehr beschlossenen als bewiesenen Nichtigkeit die Triebfeder einer Verschwörung. Die extreme Bedeutungslosigkeit der Werke war mutmaßlich dazu da, den Betrachter zu verunsichern und in ihm Zweifel und Schuldgefühle hervorzurufen. „Es ist unmöglich, dass das so bedeutungslos ist, da muss etwas dahinter stecken". Auf diese Weise wurde die zeitgenössische Kunst beschuldigt, „mit den Schuldgefühlen derer die nichts davon verstehen, oder die nicht verstanden hatten, dass es nichts zu verstehen gab, zu spekulieren".

Man kennt die katastrophalen Auswirkungen, die diese Polemik mit einem stark populistischen Beigeschmack auf die Kunst gehabt hat. Künstler und Einrichtungen der zeitgenössischen Kunst wurden seitdem zur Zielscheibe einer Vielzahl von Angriffen, die frei von Komplexen und Hemmungen waren, die direkt oder auf Umwegen von überall her kamen, vom Publikum bis hin zum politischen oder wirtschaftlichen Entscheidungsträger.
Eine Hemmschwelle war mit einem Streich durch eine Gruppe von Intellektuellen hinweggewischt worden. Gewisse Leute gaben sich von nun an das Recht, sich, ohne einen Widerspruch zu dulden, gegen die zeitgenössische Kunst auszusprechen, ab dem Zeitpunkt, wo andere ihren Rassismus nicht mehr versteckten.

Die Offensive fand ihren Höhepunkt mit der Veröffentlichung eines Beitrages mit dem Titel „Art/Non-Art“ in der politisch stark rechts stehenden Zeitschrift Krisis, wo unter anderem Jean Clair, Jean-Philippe Domecq und Jean Baudrillard ihren Kreuzzug zu einer Rückkehr zum Metier der Meister, zur Figuration und gegen Abstraktion, zur Materie und gegen die Idee, zur Tradition und gegen die Theorie fortsetzten.

Es kommt selbstverständlich nicht in Frage zu behaupten, die zeitgenössische Kunst könne der Kritik aus dem Weg gehen. Ganz im Gegenteil, Kritik, Analysen, Infragestellungen, theoretische und ästhetische Debatten, Überlegungen über die Beziehungen zum Publikum, zur Gesellschaft, zur Gegenwart etc., dies alles fehlt sehr und muss rückhaltlos gefördert werden.

Aber in der Offensive, die sich um die „Bedeutungslosigkeit" kristallisiert hat, lag nichts von kritischen Ansprüchen oder einer detaillierten und wohltuenden Hinterfragung der zeitgenössischen Kunst: Sie verurteilte global (und ohne die Unterscheidung einzelner Werke) im Namen einer Rückkehr zu einer ante-modernen Tradition.
Es handelte sich um eine ästhetisch reaktionäre Offensive, in dem Sinne, dass sie sich auf Werte und Praktiken aus der Vergangenheit bezieht, oft sogar auf die Epoche vor Manet.
Die Nostalgie und die Ideologie maßen die Werke von heute an den ästhetischen Werten von gestern.

Diese Art von Bewegungen ist keine Ausnahme, selbst hin bis in ihre Exzesse, ihre Heftigkeit und ihre Unkenntnis von dem, was sie verabscheuen. Die gesamte Kunstgeschichte ist gespickt von Entsetzesschreien der Gegner der Kunst, die zu der Zeit aktuell war oder die dabei war ihren Weg zu suchen, so chaotisch und unsicher er auch gewesen sein mochte.
Was hat man nicht alles geschrieben – und dies nicht ohne Vehemenz – gegen die Impressionisten, die Kubisten, ohne dass man bis zu Manet oder Courbet zurückgehen müsste? Heute noch haben zahlreiche Kritiker Marcel Duchamp nicht verdaut, bei dem man allen Grund hat sich zu sorgen, dass seine Readymades nicht dem Urteil der Bedeutungslosigkeit entkommen, das an den Großteil der zeitgenössischen Werke gerichtet ist.

Nun konnte dieses Überbleibsel einer anti-zeitgenössischen Bewegung in der Kunst vor kurzem in einem Buch der kleinen Kollektion „50 questions“ des Verlages Klinsieck zu Worte kommen, durch die Feder von Jean-Luc Chalumeau, und es nannte sich seltsamerweise Geschichte der zeitgenössischen Kunst. Seltsamerweise deswegen, weil es nicht Geschichte war, es handelte sich weniger darum die „zeitgenössische Geschichte“ zu befragen als ihr eine künstlerische Haltung, die man als „moderne Kunst“ qualifizieren könnte, entgegenzusetzen.

Im Namen einer verordneten Vitalität der modernen Kunst von heute spricht Chalumeau der zeitgenössischen Kunst ihre Legitimität und damit ihre Existenzberechtigung ab.

Während Baudrillard gegen die Bedeutungslosigkeit der zeitgenössischen Kunst wetterte, geht Chalumeau weiter, indem er es als selbstverständlich darstellt, dass „die zeitgenössische Kunst zwar eine Realität, aber keine Kunst ist.“
Um diese dreiste These zu unterstreichen, bastelt Chalumeau einen Widerspruch, der der zeitgenössischen (Nicht-)Kunst zu Eigen sein soll: „Seine anerkannten Praktiker, so wie Bertrand Lavier, erheben auf keinen Fall einen Kunstanspruch und besetzen gleichzeitig - nicht ohne zu frohlocken - die üblichen Bereiche der Kunst: die Galerien, die Museen, die Biennalen, die Veröffentlichungen, etc."

Die einzig wirkliche lebendige Kunst wäre also die besagte „moderne Kunst“, mit einem Heiligenschein versehen, gleichzeitig als Opfer und Widerstandskämpfer. Opfer, weil sie fast vollkommen aus dem Bereich der Kunst ausgeschlossen worden ist, durch die (mehr oder weniger legitimen) Epigonen von Duchamp (die Zeitgenössischen); Widerstandskämpfer auf Grund eines notwendigen Widerstandes der (modernen) Künstler, die sich der historischen Sackgasse bewusst waren, in die sie sich hatten einschließen lassen.
Wird diese recht schwache Dialektik ausreichen, um einem lebendigen Verständnis über das Werden der Kunst beizustehen? Dies ist alles andere als sicher ...

Autor: André Rouillé

Übersetzung: Stephan Meinhardt