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Der Künstler und seine Marktstrategien - 10.3.2006
Ecole Nationale Supérieure des Beaux Arts (ENSBA) – Paris

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In der Kunsthochschule findet eine Vortragsreihe über den Künstler und seine Marktstrategien statt. Vortragender ist der Experte Jean-Bernard Tellio. Er hat die komplexen Beziehungen, die zwischen dem Kunstmarkt, dessen verkaufsfördernden Werkzeugen, seiner Funktionsweise und der Kreation an sich bestehen, untersucht. Dass diese Beziehungen oft getrübt sind, bemerkt der angehende Künstler schnell. Auf die für die Künstler von morgen wichtigen Fragen „Wie verkauft ich meine Werke? - Soll ich mich verkaufen, und wie? - gibt Monsieur Tellio Antworten.

Der kleine Hörsaal im ersten Stockwerk der ENSBA ist gerammelt voll. Es sind vorwiegend Studenten der renommierten Kunsthochschule anwesend, das Thema stößt bei den Künstlerschülern auf reges Interesse. Der Vortrag beginnt mit der Frage, wie man ein berühmter Künstler, ein Star werden kann, der einen Haufen Geld verdient. Als absolutes Vorbild bringt der Vortragende an mehreren Stellen Andy Warhol vor, der sich dieses Ziel vorgenommen und erreicht hatte.

Zwei wichtige und miteinander eng verstrickte Bereiche des Kunstmarktes werden genannt: auf der einen Seite die Fachzeitschriften, die Kritiker, die Ästhetiker, und allgemein all diejenigen die die Kunst und ihre Werke theoretisieren, und auf der anderen Seite die Akteure des Kunstmarktes, die privaten Käufer und Sammler, die Museen, die Galerien, also alle Institutionen und Personen, die Kunstwerke kaufen. Die Aufgabe des erfolgreichen Künstlers besteht nun darin, sich in harmonischer Weise in diesen zwei Bereichen zu bewegen und diese simultan zu befriedigen. Dabei gilt es als Erstes, zu ihnen überhaupt einen Zugang zu bekommen - ein Hindernis, an dem schon viele Künstler gescheitert sind. Doch dabei kann die ENSBA helfen. Tellio legt ihren Schülern mehrmals dringend nahe, sich an ihre Lehrer zu wenden, welche einen außerordentlichen Ruf, hervorragende Beziehungen zu Kritikern, wichtigen Galerien, Ausstellungskommissaren und kunstfinanzierenden Institutionen besitzen.
Treten Sie an ihre Lehrer heran und bitten sie um ihre Hilfe. Warten sie nicht, dass man ihnen Hilfe anbietet. Seien sie nicht schüchtern und nutzen sie die Beziehungen, über die Ihre Lehrer verfügen, so Tellio. Fragen sie ihren Lehrer, ob er ihnen helfen kann, eine Galerie zu finden, in der sie ausstellen können. Darüber hinaus brauchen sie Theoretiker, die über ihre Arbeit schreiben. Auch dabei können ihnen ihre Lehrer helfen. Die Hälfte der französischen Künstler mit internationalem Renommee sei in der Pariser ENSBA ausgebildet, versichert er. Die Dringlichkeit, mit der Tellio diese Formeln mehrmals wiederholt, wirken beschwörend. Ein Künstler zu werden, der wahrgenommen wird, bedeutet, gute Beziehungen zu haben und diese zu nutzen. Dies ist also ein erster Angelpunkt, mit dem er den Schülern der Kunsthochschule Hoffnung macht. Folgt eine Liste von Ratschlägen, die an eine Gebrauchsanleitung erinnert:

Es fällt auf, dass am Ende des Vortrags nicht applaudiert wird. Anscheiend hat der Experte die Zuhörer ernüchtert. Tellios „Gebrauchsanweisung“ ist meilenweit von dem naiv verklärt-romantischen Bild des Künstlers entfernt – herzlich willkommen in der Wirklichkeit. Seine Tips erinnern an die (allerdings ironisch gemeinte) „Introduction to net.art“ von Natalie Bookchin und Alexei Shulgin, die 1999 ein perfektes Regelwerk für den werdenen modernen erfolgreichen Netzkünstler aufgestellt hatten. (... Nimm an Medienfestivals, Vorträgen und Ausstellungen teil. Zahle unter keinen Umständen einen Teilnahmebeitrag, Reise- oder Hotelkosten. Erschaffe und kontrolliere deinen eigenen Mythos. Widerspreche dir regelmässig in Emails, Artikeln, Interviews. Schockiere. ...)
Niemand zeigt offen eine Begeisterung für die guten Ratschläge des Experten Tellio, aber viele werden ihnen folgen...

Stephan Meinhardt